Ein Gesprächskonzert mit Brigitte Schäfer-Schwartze und Gerhart Schäfer

Den „Sinn des Komponierens in unserer Zeit” betrachtet Brigitte Schäfer-Schwartze viel mehr mit kulturpessimistischem Argwohn als mit schaffensfreudigem Künstler-ldealismus, wie es die Komponistin jetzt nach einem Gesprächskonzert in der Veranstaltungsreihe „Ferne Klänge” in der Universitätsaula verlauten ließ. Für ein profundes Verständnis ihrer Musik sei die analytische Auseinandersetzung mit handwerklichen Binnenstrukturen und formaler Logik eine ebenso notwendige Bedingung, wie auch ihr kulturphilosophisch und literarästhetisch grundiertes, an mythologischen Prinzipien orientiertes Verhältnis zu Musik und schöpferischer Produktion stets der vertiefenden Reflexion des Hörers bedürfe.

Trotz dieser hochgewachsenen, fast elitären Ansprüche an Kompetenz und Detailwissen ihres Publikums vernahm man in den Werken der Klebe-Schülerin eine ausgeprägte, stets faßbare Emotionalität, eine eigentümliche, mit schmalen Motivbeständen und freien Rhythmen entworfene, unmißverständlich artikulierende musikalische Sprache, die nach dem Vortrag ihrer Kammermusik für sieben Spieler „Der weiße Vogel” das lapidare Bekenntnis ihres Ehegatten und Komponistenkollegen Gerhart Schäfer allemal bestätigen konnte: „Konstruktion und Emotion schließen sich nicht aus.” In einer ausgefallenen wie farbreichen Mixtur aus Streich- und Blasinstrumenten, Schlagzeug und Celesta funkelten die Kontraste verschiedenster Klangcharaktere, waren Einzelstimmen mit sensiblen solistischen Akzentuierungen versehen (so das grüblerische Baßklarinetten-Rezitativ über dem auf- und abschwellenden Paukenwirbel); plötzlicher rhythmischer Auftrieb stand neben unvermittelt verebbendem Ritardando, forsche Episoden neben tiefgründig sinnierendem Misterioso.

In den fünf Stücken für Klarinette (herausragend, allen virtuosen Hürden gewachsen: Harmen Coster) und Klavier (einfühlsam mitgestaltend: Thomas Preuß) mit dem Titel „Diaphainon” schien zwischen aufbrausender Vehemenz und versunkener Kontemplation („Hommage á Bruckner”) ein Prinzip von mythologischer Polarität und „Janusköpfigkeit” verwirklicht, nach dem sich Gegensätze zu wesenhaften Zusammengehörigkeiten vereinigen, wie die Künstlerin in kurzen Werkkommentaren ausführte.

Wie die apokalyptischen Visionen und die metaphorische Bilderflut in Georg Trakls Spätgedichten „Grodek”, „Die Nacht” und „Herbstliche Heimkehr” in eine Musik zu übersetzen ist, die dieses unheildrohend vibrierende Verfallsklima transparent macht, wurde in den drei Vertonungen von Schäfer-Schwartze mit bedrückender Intensität nachvollziehbar. Monika Borchfeldt (mit Klaus Holle, Flöte, und Thomas Preuß, Klavier) folgte mit ihrem schlanken, in ätherisch lichte Höhen unfehlbar geführten Sopran den feingliedrigen, meist engintervalligen Lineaturen und verdichtete das asketisch-herbe Melos durch wohldosierte deklamatorische Nuancierungen zu substanzvoller gestischer Prägnanz.

Von Claudius Reinke

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung 1993.